Jutta Bauer – Wenn ein Nachwuchs-Illustrator ihren Namen hört, horcht er entzückt auf. Jutta Bauer ist die Illustratorin mit dem einzigartigem Stil. Sie zeichnete einst für die „Brigitte“, illustrierte für bekannte Autoren und bringt selbst ein Buch nach dem anderen heraus. Nur ein paar Striche, fertig ist ein Gesicht mit Charakter, mit so viel Ausdruck, der schon allein eine Geschichte erzählen könnte. Als ich Jutta Bauer zum Interview anfrage, sagt die Hamburgerin sofort zu. Zwischen Zeichenkurs und Badesee setzt sie sich im Funkloch mitten in Mecklenburg Vorpommern ans hauseigene Telefon des Guthofs und nimmt sich Zeit. Allerdings nicht ohne ihre Kunst zu vergessen. Mitten im Gespräch ruft sie einer ihrer Teilnehmerin zu: „Oh schaut, die Rinder stehen so wunderbar in der Abendsonne. Wer möchte sie noch zeichnen?“
Kinderbuch-Fuchs.de: Hallo Frau Bauer, Sie sind schon sehr lange im Buch-Geschäft. Mich interessiert Ihre Sicht der Dinge. Wie hat sich der Kinderbuchmarkt in den letzten Jahrzehnten verändert?
Jutta Bauer: Heute fahren wir auf einer Mainstream-Autobahn. Was nicht ins Marketing-Konzept passt, fällt raus. Gestandene Verleger wie Jochen Gelberg und Klaus Humann oder Dieter Schwalm gehen in Rente und eine neue Generation von Managern rückt nach. Bisher war das Verhältnis zu den Verlegern eher freundschaftlich. Da haben wir bei einem Glas Wein besprochen, was wir mal wieder machen könnten. Ich weiß nicht, ob ich mit den jungen Managern ein Glas Wein trinken will oder kann.
Jutta Bauer im Interview: „Bei uns muss immer eine relevante Message dahinterstehen“
Kinderbuch-Fuchs.de: Auch die Pädagogik hat sich in den letzten 30 Jahren sehr verändert. Sind die Geschichten anders geworden?
Jutta Bauer: Diese Frage könnten Buchhändler besser beantworten. Ich ziehe stur mein Ding durch, weil ich einen gewissen Stand habe. Meine Bücher werden noch abgenommen. Es kann gut sein, dass der Markt längst in einer anderen Richtung unterwegs ist. Viele sagen, dass Eltern heute eher an Sachbüchern und Geschichten interessiert sind. Konzeptionelle Bilderbücher haben es schwer. Wenn ich nach Frankreich schaue, können wir schon neidisch werden. Die Franzosen haben Lust auf Bilder und Kunst. Bei uns muss immer eine relevante Message dahinterstehen – am besten ein Sachbilderbuch über die Antarktis. Etwas Poetisches fällt schnell durchs Raster. Das ist aber eher ein Gefühl, ich kann das nicht belegen.
Kinderbuch-Fuchs.de: Sie haben auch mal für den Henriette-Bimmelbahn-Autor James Krüss illustriert.
Jutta Bauer: Das waren nur kleine schwarz-weiße Zeichnungen zu „Der Leuchtturm auf den Hummerklippen“. Das Buch läuft und läuft. Mit den Belegexemplaren des Leuchtturms könnte ich einen Laden aufmachen, weil ich mit jeder Neuauflage eine Belegausgabe bekomme. Bei den großen Autoren kann man im Windschatten als Illustratorin gut mitfahren – so wie bei Christine Nöstlinger, Klaus Kordon, Peter Stramm.
Kinderbuch-Fuchs.de: Kannten Sie denn James Krüss und Christine Nöstlinger persönlich?
Jutta Bauer: Christine Nöstlinger kannte und mochte ich sehr. Sie hat mir mal in Wien einen leckeren Tafelspitz gekocht. Leider haben wir den Kontakt nicht regelmäßig gehalten. James Krüss kannte ich aber nicht.
Kinderbuch-Fuchs.de: Sie sind nun knapp über 60 Jahren und arbeiten seit vielen Jahrzehnten als Illustratorin. Gibt es noch etwas, was Sie dazu lernen können?
Jutta Bauer: Ständig! Immer! Ich lerne von den Schülern und Studenten, Sommerakademie-Teilnehmern und auch den Kindern. Oftmals beneide ich sie. „Die Virtuosität ist der Feind der Kunst“, sagte Pablo Picasso. Wer gut zeichnen kann, die immergleichen Sachen runterspult und keine neuen Pfade betritt, den versuche ich als Lehrerin zurückzupfeifen. Dann sage ich: „Hier, jetzt nimm doch mal einen dicken Pinsel und keinen Dünnen.“ Eine Workshop-Teilnehmerin hat mal meinen Kurs verlassen, weil sie nur Pferde mit wehenden Haaren malen konnte und wollte. Die Gefahr ist auch bei Profis groß. Du machst immer das Gleiche, es kommt gut an und irgendwann ist es kalte Scheiße. Man muss merken, wenn irgendwann die Aufregung fehlt. Ich kenne Künstler, die irgendwann gespürt haben, den Zug verpasst zu haben, das Ruder herumreißen wollen und dann in einer Depression landen.
Kinderbuch-Fuchs.de: Können Sie mir ein Beispiel nennen von etwas, was Sie in den letzten Jahren komplett neu ausprobiert haben?
Jutta Bauer: Ich habe mit meiner Nichte Katharina Haines das Buch „Armut“ gemacht. Sie ist eine kluge Grafikerin, ich arbeite gerne mit ihr zusammen. Wir haben uns für „arme Hunde“ stellvertretend für „arme Menschen“ entschieden. Ich habe ihr Illustrationen gezeichnet und sie hat die Bilder teils in völlig neue Zusammenhänge gebracht. Es war für mich ein Experiment, weil ich lediglich Material geliefert habe und ihr die Verantwortung für die Bilder fast komplett überlassen habe. Am Ende kam ein sehr modern gestaltetes Buch für Jugendliche heraus.
Jutta Bauer geht ohne Angst an schwierige Themen
Kinderbuch-Fuchs.de: Wenn ich mir Ihre Bücher anschaue, merke ich, dass Sie sich an Themen wagen, die andere vermeiden. Zum Beispiel brüllt eine Mutter in „Die Schreimutter“ ihr Kind in einzelne Teile. Woher kommt es, dass Sie sich an diese Themen rantrauen?
Jutta Bauer: Ich bin kein ängstlicher Mensch – nicht allein zu Hause, nicht auf dem See. Ich habe ein Selbstvertrauen. Es gibt Menschen, die eine große Selbstkritik haben. Manche verwerfen ihre Ideen, kaum haben sie diese halb umgesetzt. Das merke ich besonders in den Akademien. Ich bringe meist etwas zu Ende. Na ja, der Mut dazu kommt ja auch daher, dass es öfter mal geklappt hat.
Kinderbuch-Fuchs.de: Mussten Sie sich diese Eigenschaft erarbeiten?
Jutta Bauer: Ich habe eine Menge Sachen geschenkt bekommen. Zum Beispiel vernünftige Eltern. Eltern, die singen und Fragen beantworten. Die einen nicht verwöhnen und nicht in den Himmel heben. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, Selbstvertrauen zu entwickeln.
Kinderbuch-Fuchs.de: Ist Ihnen das als Mutter auch gelungen?
Jutta Bauer: Ich hoffe es. Ich habe ja nur ein Kind und das ist ganz in Ordnung (lacht). Mein Sohn ist jetzt 30 Jahre alt.
Kinderbuch-Fuchs.de: Haben Sie schon Enkel?
Jutta Bauer: Nein, noch nicht.
Bei „Die Königin der Farben“ kämpfte sie um jedes Wort
Kinderbuch-Fuchs.de: Noch einmal zurück zur Arbeit: Sie zeichnen nicht nur, Sie schreiben auch Texte. Wie leicht fällt Ihnen das?
Jutta Bauer: Das fällt mir nicht schwer. Ich habe gerade erst Geschichten für Erwachsene geschrieben. Das geht mir erstaunlich gut von der Hand. In dieser Hinsicht bin ich aber sehr skeptisch. Ich empfinde das Schreiben nicht als mein sicheres Terrain. Bei der „Königin der Farben“ war es ein bisschen anders. Das war ja zunächst ein Trickfilm. Jede Note, jedes Wort, jede Betonung war mir wichtig und nicht verrückbar. Da habe ich um jedes Wort gekämpft. Zum Beispiel wollte die Lektorin aus „Mengen von Tränen quollen aus ihr hervor“ das Wort „quollen“ ersetzen. Aber das war für mich nicht veränderbar. Da habe ich mich störrisch gezeigt.
Als Kind liebte Jutta Bauer Versandkataloge
Kinderbuch-Fuchs.de: Welche Bücher waren Ihnen eigentlich in Ihrer Kindheit wichtig?
Jutta Bauer: Ich erinnere mich sehr deutlich an Jean Effels Schöpfungsgeschichte. Wahnsinnig witzig. Außerdem habe ich Petzi-Bücher gelesen, später auch die Mumins. Und ich habe Tage über Versandhauskatalogen gesessen und Rüschengardinen studiert. Meine Eltern hatten auch keine Angst vor Trivialem. Wir hatten auch Mickey-Mouse-Hefte und Lurchi zu Hause.
Kinderbuch-Fuchs.de: Gibt es für Sie ein Buch, von dem Sie glauben, dass es jedes Kind besitzen sollte?
Jutta Bauer: Nein, eigentlich nicht. Pu, der Bär sollte man einfach haben. Aber ansonsten sind Kinder sehr individuell, so wie Erwachsene eben auch. Man kann Kindern ja nicht einheitlich ein Buch verordnen.
Kinderbuch-Fuchs.de: Für mich war „Rosi in der Geisterbahn“ von Philip Waechter eine solche Entdeckung.
Jutta Bauer: Ja, das ist toll.
Kinderbuch-Fuchs.de: Ich litt früher selbst sehr unter Alpträumen und bin glücklich, dass ich meinen Kindern dieses Buch mit auf den Weg geben kann.
Jutta Bauer: Ja, das verstehe ich. Ich habe meinem Sohn früher den Vers, den ich noch von meiner Mutter kannte, aufgesagt: „Abends wenn ich schlafen geh‘, 14 Engel um mich stehn, zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken, zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen, zwei, die mich decken, zwei, die mich wecken, zwei, die mich weisen in himmlische Paradeisen.“ Die Vorstellung, dass 14 Englein um einen herumstanden, fand ich sehr schön. Mein Sohn wollte aber unbedingt Füchse und so ist auch ein Buch entstanden.
Schluss mit horten: Jutta Bauer kauft nur noch selten Bücher
Kinderbuch-Fuchs.de: Verfolgen Sie denn noch den aktuellen Kinderbuch-Markt und gehen Sie in den Buchladen, um ein Buch zu kaufen?
Jutta Bauer: Ich kaufe nicht mehr so viel. Ich will nicht mehr horten. Mit spätestens 60 Jahren denkt man darüber nach, wie man seine Sachen wieder los wird bis zum Altersheim (lacht). Ich kaufe wenig, aber ich gucke viel an.
Kinderbuch-Fuchs.de: Haben Sie mal wieder eine Neuentdeckung gemacht, die Sie beeindruckt hat?
Jutta Bauer: Ja, ich finde Mark Boutavant toll und Benjamin Chaud. Es regt mich auf, wenn Kollegen in meinem Alter sagen, dass es nichts Neues mehr gibt. Ich sehe viel Talent.
Kinderbuch-Fuchs.de: Was steht denn in naher Zukunft für Sie an?
Jutta Bauer: Es kommt ein neues Buch für Erwachsene. Es ist ein Buch über die Gedanken meines Katers . Warum Frau B. sich unter Wasser stellt zum Beispiel, warum Menschen mit Zeitungen rascheln und so was. Es wird ein neues Buch wie „Armut“ erscheinen, allerdings über Moral, Alltagsmoral. Ein Bilderbuch ohne Worte habe ich noch geplant. Das ist alles noch im Rohbau. Ich mache das ganz langsam.
Kinderbuch-Fuchs.de: Frau Bauer, vielen Dank schon einmal für die Beantwortung der Fragen. Etwas würde ich gerne noch über Sie wissen. Sie leben in Hamburg und am See?
Jutta Bauer: Ich habe eine Wohnung in der Stadt und ein Bootshäuschen in Schwerin. Das ist meine „kleine Leute-Welt“, dort wohnen auch die Angler gewohnt. Es ist klein, eng und eine ganz andere Welt als die der Bücher. In Hamburg lebe ich mit meiner vor sich hin alternden Katze am Kanal. Die Haustiere bleiben irgendwie aus dem Familienleben übrig (lacht). Tja, Kind weg, Mann weg, Kater bleibt.
Kinderbuch-Fuchs.de: Vielen Dank für Ihre Zeit
Bilder: privat, Kater L. Buch, Schöffling, Jutta Bauer 2018